Mitte Mai titeln alle großen Nachrichtenportale, dass in Europa mindestens 9 Supercomputer zeitgleich gehackt worden sind. Supercomputer nennt man jene riesigen Rechner, mit denen der Ursprung des Universums berechnet werden kann, oder die Zukunft der Menschheit, je nachdem. Es sind enorme Rechenkapazitäten, vermutlich für Forschungszwecke, möglicherweise aber auch für anderes, geheimeres. Sie zu hacken, dürfte nicht leicht gewesen sein. Und in alle Rechner zur gleichen Zeit einzudringen, ist wohl ein echtes Bravourstück in der Welt der Hacker. Was sie dort wollten, wonach sie gesucht haben, und wer sie sind, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand.
Ebenfalls Mitte Mai berichten deutsche Nachrichtenmagazine vom mysteriösen Cyberbunker an der Mosel, jener Schaltstelle für die geheimen Kanäle des Darknet. In den fünf unterirdischen Bunkeretagen wurden wohl die Datenströme gelenkt, die den Kauf von Containern mit Drogen genauso ermöglicht haben sollen wie das Verschiffen von Panzern und Waffen in Krisenregionen. So ist zumindest die offizielle Version der Behörden, nachdem das ganz Bunkergelände durch eine Armee von 650 Polizisten gestürmt wurde. Doch den Gerüchten im Netz zufolge gibt es auch eine andere Deutung. Demnach war der Bunker das Refugium einer Truppe von Cyberrebellen, die in ihren verborgenen Kanälen des Darknet die letzte unkontrollierte Bastion des Internet verteidigt haben. Welcher Version man glauben darf, wird man wohl erst in der Zukunft wissen.
Eines ist bei all dem sicher: Es tobt ein heimlicher Krieg im Netz. Eine Auseinandersetzung, die so alt ist wie das Internet selbst. Die zentrale Frage für Hacker, Rebellen und Netzaktivisten war immer schon: Wem gehört das Internet? Ist es ein Verkaufsportal für die Produkte von Amazon, Apple und die chinesische Alibaba-Gruppe? Oder für den Datenhandel von Facebook, Google oder der militärischen Geheimdienste? Die meisten User, die das Netz zu ihrer Unterhaltung nutzen, verschwenden kaum einen Gedanken an solche Fragen. Aber manch andere schon. Jemand wie Aaron Swartz kämpfte als Hacker für die Freiheit im Netz, wurde vom CIA gejagt, verhaftet und bezahlte seinen bedingungslosen Kampf schließlich mit dem Leben. So jedenfalls ist sein Bild in Hackerkreisen, wo er als ein Märtyrer verehrt wird. Viele andere, die aus ähnlichen Gründen aus Kellern und Garagen heraus ihre Kämpfe in den Tiefen der Datenströme führten, wurden inzwischen verhaftet oder sind auf immer untergetaucht. Sie gehörten geheimen Rebellenbewegungen an, die sich abenteuerliche Namen geben haben. Anonymous ist davon die letzte, öffentlich bekannte geblieben. Eine Bewegung weltweiter Hacker, die für die Freiheit des Netzes genauso kämpft wie für die arabischen Demokratisierungsbewegungen. Selbst gegen die Terrorvereinigung des IS sind die geheimen Hacker von Anonymous in die Schlacht gezogen, und Anfang dieses Jahres haben sie chinesischen Bloggern geholfen, Pekings Corona-Zensur zu durchbrechen. Ob sie kriminelle Outlaws sind oder Robin-Hood-gleiche Rebellen, die das Netz zu ihrem Sherwood Forest gemacht haben, wird man zu einer späteren Zeit bewerten müssen.
Als ich vor vier Jahren meine Arbeit an Earth begann, hat mich die romantische Idee dieser Widerstandskämpfer im Netz fasziniert. Ebenso wie mich die Geheimnisse der Gegenseite interessiert haben, allen voran die gerüchteumrankten Bilderberg-Konferenzen, in denen sich seit 1954 jährlich an wechselnden Orten die Reichen und Mächtigen dieser Welt treffen und Dinge besprechen, die weder an Presse noch an die Öffentlichkeit dringen. Ich interessierte mich für die Berichte von den großen Supercomputern, die mit komplexen Simulationsprogrammen zukünftige Flüchtlingsströme genauso berechnen können wie das Entstehen radikaler Terrorgruppen. Aus all dem entstand die Geschichte um die Hackerbewegung Earth, die gegen die weltverändernden Simulationsprogramme des Tantalos-Projekts kämpft. Als ich den ersten Band „Earth – Die Verschwörung“ schrieb, war das Wissen um eine geheime Darknet-Schaltstelle in einem unterirdischen deutschen Bunker nur in den versponnenen Erzählungen verschworener Internetjunkies zu finden. Und ein strategischer Angriff, der zeitgleich gegen viele Supercomputer geführt wird, galt noch als das oberste Ziel der globalen Hacktivisten. Jetzt ist all das Realität geworden. Welche Gruppierung wirklich dahinter steht und welche Ziele sie verfolgt hat, wird noch lange ein Geheimnis bleiben. Aber wenn es eine Hackerbewegung wie Earth geben würde, dann wäre all das ihren Mitgliedern Brit, Khaled, Zodiac, LuCypher und all den anderen durchaus zuzutrauen.
Hansjörg Thurn